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»Guten Abend, Fräulein Else »Ah, Herr von Dorsday »Sie wollen noch einen Spaziergang machen, Fräulein Else?« »Ach, nicht gerade einen Spaziergang, ein bißchen auf und abgehen vor dem Diner.« »Es ist fast noch eine Stunde bis dahin.« »Wirklich?« »Es gibt doch auf der Welt keinen schöneren Fleck als diesen hier.« »Finden Sie, Herr von Dorsday? Aber bitte, sagen Sie nicht, daß die Luft hier wie Champagner ist.« »Nein, Fräulein Else, das sage ich erst von zweitausend Metern an. Und hier stehen wir kaum sechzehnhundertfünfzig über dem Meeresspiegel.« »Macht das einen solchen Unterschied?« »Aber selbstverständlich. Waren Sie schon einmal im Engadin?« »Nein, noch nie. Also dort ist die Luft wirklich wie Champagner?« »Man könnte es beinah' sagen. Aber Champagner ist nicht mein Lieblingsgetränk. Ich ziehe diese Gegend vor. Schon wegen der wundervollen Wälder. Bleiben Sie noch längere Zeit hier in San Martino, Fräulein Else?« »Das hängt zum Teil von den Dispositionen meiner Tante ab.« »Wahrscheinlich bis zum zehnten.« »Die Mama ist wohl noch in Gmunden?« »Nein, Herr von Dorsday. Sie ist schon in Wien. Schon seit drei Wochen. Papa ist auch in Wien. Er hat sich heuer kaum acht Tage Urlaub genommen. Ich glaube, der Prozeß Erbesheimer macht ihm sehr viel Arbeit.« »Das kann ich mir denken. Aber Ihr Papa ist wohl der Einzige, der Erbesheimer herausreißen kann . . . Es bedeutet ja schon einen Erfolg, daß es überhaupt eine Zivilsache geworden ist.« »Es ist mir angenehm zu hören, daß auch Sie ein so günstiges Vorgefühl haben.« »Vorgefühl? Inwiefern?« »Ja, daß der Papa den Prozeß für Erbesheimer gewinnen wird.« »Das will ich nicht einmal mit Bestimmtheit behauptet haben.«
»O, ich halte etwas von Vorgefühlen und von Ahnungen. Denken Sie, Herr von Dorsday, gerade heute habe ich einen Brief von zu Hause bekommen. Herr von Dorsday, Sie haben eben so lieb von Papa gesprochen, es wäre geradezu häßlich von mir, wenn ich nicht ganz aufrichtig zu Ihnen wäre. Nämlich in dem Brief ist auch von Ihnen die Rede, Herr von Dorsday. Es ist nämlich ein Brief von Mama.« »So.« »Eigentlich ein sehr trauriger Brief. Sie kennen ja die Verhältnisse in unserem Haus, Herr von Dorsday. Kurz und gut, Herr von Dorsday, wir wären wieder einmal so weit. Es handelt sich - um eine Bagatelle. Wirklich nur um eine Bagatelle, Herr von Dorsday. Und doch, wie Mama schreibt, steht alles auf dem Spiel.« »Aber beruhigen Sie sich doch, Fräulein Else.« Also, was gibt's denn eigentlich, Fräulein Else? Was steht denn in dem traurigen Brief von Mama »Herr von Dorsday, der Papa...Die Mama schreibt mir, daß der Papa« »Aber um Gottes willen, Else, was ist Ihnen denn? Wollen Sie nicht lieber - hier ist eine Bank. Darf ich Ihnen den Mantel umgeben? Es ist etwas kühl.« »Danke, Herr von Dorsday, o, es ist nichts, gar nichts besonderes.« »Nun, Fräulein Else?« »Ach Gott, Herr von Dorsday, Sie sind ja ein alter Freund unseres Hauses. Und es wird Sie wahrscheinlich nicht wundern, wenn ich Ihnen erzähle, daß Papa sich wieder einmal in einer recht fatalen Situation befindet.« »Es wundert mich allerdings nicht übermäßig. Da haben Sie schon recht, liebes Fräulein Else, - wenn ich es auch lebhaft bedauere. Ich empfinde für Ihren Papa eine so aufrichtige Freundschaft, für Sie alle.« »Nun, Herr von Dorsday, jetzt hätten Sie Gelegenheit, Ihre Freundschaft für meinen Vater zu beweisen. Es scheint nämlich, Herr von Dorsday, daß alle unsere Verwandten und Bekannten - die Mehrzahl ist noch nicht in Wien - sonst wäre Mama wohl nicht auf die Idee gekommen. Neulich habe ich nämlich zufällig in einem Brief an Mama Ihrer Anwesenheit hier in Martino Erwähnung getan - unter anderm natürlich.« »Ich vermutete gleich, Fräulein Else, daß ich nicht das einzige Thema Ihrer Korrespondenz mit Mama vorstelle.« »Die Sache verhält sich nämlich so. Doktor Fiala ist es, der diesmal dem Papa besondere Schwierigkeiten zu bereiten scheint.« »Ach, Doktor Fiala.« »Ja, Doktor Fiala. Und die Summe, um die es sich handelt, soll am fünften, das ist übermorgen um zwölf Uhr Mittag, - vielmehr, sie muß in seinen Händen sein, wenn nicht der Baron Höning - ja, denken Sie, der Baron hat Papa zu sich bitten lassen, privat, er liebt ihn nämlich sehr.« »Sie wollen sagen, Else, daß andernfalls eine Verhaftung unausbleiblich wäre?« »Ja.« »Hm, das ist ja – schlimm, das ist ja wirklich sehr – dieser hochbegabte geniale Mensch, - Und um welchen Betrag handelt es sich denn eigentlich, Fräulein Else?« »Wie, Herr von Dorsday, ich habe noch nicht gesagt, wieviel? Eine Million. Entschuldigen Sie, Herr von Dorsday, daß ich in diesem Augenblick scherze. Es ist mir wahrhaftig nicht scherzhaft zumute. Es handelt sich natürlich nicht um eine Million, es handelt sich im ganzen um dreißigtausend Gulden, Herr von Dorsday, die bis übermorgen Mittag um zwölf Uhr in den Händen des Herrn Doktor Fiala sein müssen. Ja. Mama schreibt mir, daß Papa alle möglichen Versuche gemacht hat, aber wie gesagt, die Verwandten, die in Betracht kämen, befinden sich nicht in Wien. Sonst wäre es dem Papa natürlich nicht eingefallen, sich an Sie zu wenden, Herr von Dorsday, respektive mich zu bitten – « »Am fünften sagten Sie, Fräulein Else?« »Jawohl übermorgen, Herr von Dorsday, um zwölf Uhr mittags. Es wäre also nötig - ich glaube, brieflich ließe sich das kaum mehr erledigen.« »Natürlich nicht, Fräulein Else, das müßten wir wohl auf telegraphischem Wege- Nun, das wäre das wenigste. Wieviel sagten Sie, Else?« »Dreißigtausend, Herr von Dorsday. Eigentlich eine lächerliche Summe.« »Nicht ganz so lächerlich, liebes Kind« »wie Sie sich das vorstellen. Auch dreißigtausend Gulden wollen verdient sein.« »Entschuldigen Sie, Herr von Dorsday, nicht so habe ich es gemeint. Ich dachte nur, wie traurig es ist, daß Papa wegen einer solchen Summe, wegen einer solchen Bagatelle... Sie können sich gar nicht denken, Herr von Dorsday, - wenn Sie auch einen gewissen Einblick in unsere Verhältnisse haben, wie furchtbar es für mich und besonders für Mama ist« »O, ich kann mir schon denken, liebe Else. Und ich habe mir selbst schon manchesmal gedacht: schade, schade um diesen genialen Menschen. Und wenn man wenigstens annehmen dürfte, mein liebes Fräulein Else, daß mit dieser Summe wirklich etwas getan wäre? Aber - Sie sind doch ein so kluges Geschöpf, Else, was wären diese dreißigtausend Gulden? Ein Tropfen auf einen heißen Stein.« »O nein, Herr von Dorsday, diesmal wäre es kein Tropfen auf einen heißen Stein. Der Prozeß Erbesheimer steht bevor, vergessen Sie das nicht, Herr von Dorsday, und der ist schon heute so gut wie gewonnen. Sie hatten ja selbst diese Empfindung, Herr von Dorsday. Und Papa hat auch noch andere Prozesse. Und außerdem habe ich die Absicht, Sie dürfen nicht lachen, Herr von Dorsday, mit Papa zu sprechen, sehr ernsthaft. Er hält etwas auf mich. Ich darf sagen, wenn jemand einen gewissen Einfluß auf ihn zu nehmen imstande ist, so bin es noch am ehesten ich« »Sie sind ja ein rührendes, ein entzückendes Geschöpf, Fräulein Else. Ein entzückendes Geschöpf in der Tat. Aber so gern ich Ihren Optimismus teilen möchte - wenn der Karren einmal so verfahren ist...« »Das ist er nicht, Herr von Dorsday. Wenn ich an Papa nicht glauben würde, wenn ich nicht ganz überzeugt wäre, daß diese dreißigtausend Gulden...« »Fräulein Else« »Entschuldigen Sie, Herr von Dorsday, daß ich Sie unter diesen Umständen überhaupt bemüht habe. Ich kann Ihr ablehnendes Verhalten natürlich vollkommen verstehen« »Bleiben Sie, Fräulein Else. Sie haben meine Antwort noch nicht abgewartet, Else. Ich war ja schon einmal, verzeihen Sie, Else, daß ich das in diesem Zusammenhang erwähne in der Lage, dem Papa aus einer Verlegenheit zu helfen Allerdings mit einer - noch lächerlicheren Summe als diesmal, und schmeichelte mir keineswegs mit der Hoffnung, diesen Betrag jemals wiedersehen zu dürfen, - und so wäre eigentlich kein Grund vorhanden, meine Hilfe diesmal zu verweigern. Und gar wenn ein junges Mädchen wie Sie, Else, wenn Sie selbst als Fürbitterin vor mich hintreten. Also, Else, ich bin bereit - Doktor Fiala soll übermorgen um zwölf Uhr mittags die dreißigtausend Gulden haben - unter einer Bedingung« »Herr von Dorsday, ich, ich persönlich übernehme die Garantie, daß mein Vater diese Summe zurückerstatten wird, sobald er das Honorar von Erbesheimer erhalten hat. Erbesheimers haben bisher überhaupt noch nichts gezahlt. Noch nicht einmal einen Vorschuß - Mama selbst schreibt mir« »Lassen Sie doch, Else, man soll niemals eine Garantie für einen anderen Menschen übernehmen, - nicht einmal für sich selbst. Hätte ich es vor einer Stunde für möglich gehalten, daß ich in einem solchen Falle überhaupt mir jemals einfallen lassen würde, eine Bedingung zu stellen? Und nun tue ich es doch. Ja, Else, man ist eben nur ein Mann, und es ist nicht meine Schuld, daß Sie so schön sind, Else. Vielleicht hätte ich heute oder morgen das Gleiche von Ihnen erbeten, was ich jetzt erbitten will, auch wenn Sie nicht eine Million, pardon - dreißigtausend Gulden von mir gewünscht hätten. Aber freilich, unter anderen Umständen hätten Sie mir wohl kaum Gelegenheit vergönnt, so lange Zeit unter vier Augen mit Ihnen zu reden« »O, ich habe Sie wirklich allzu lange in Anspruch genommen, Herr von Dorsday.« »Wissen Sie es denn nicht schon lange, Else. Sie müßten keine Frau sein, Else, wenn Sie es nicht gemerkt hätten. Je vous désire. Muß ich noch mehr sagen?« »Sie haben schon zu viel gesagt, Herr Dorsday.« »Else! Else! Verzeihen Sie mir, Else. Auch ich habe nur einen Scherz gemacht, geradeso wie Sie vorher mit der Million. Auch meine Forderung stelle ich nicht so hoch - als Sie gefürchtet haben, wie ich leider sagen muß, - so daß die geringere Sie vielleicht angenehm überraschen wird. Bitte, bleiben Sie doch stehen, Else. Wenn Sie wirklich einmal eine Million brauchen sollten, Else, - ich bin zwar kein reicher Mann, dann wollen wir sehen. Aber für diesmal will ich genügsam sein, wie Sie. Und für diesmal will ich nichts anderes, Else, als - Sie sehen. Sie sehen mich an, Else, als wenn ich verrückt wäre. Ich bin es vielleicht ein wenig, denn es geht ein Zauber von Ihnen aus Else, den Sie selbst wohl nicht ahnen. Sie müssen fühlen, Else, daß meine Bitte keine Beleidigung bedeutet. Ja, ›Bitte‹ sage ich, wenn sie auch einer Erpressung zum Verzweifeln ähnlich sieht. Aber ich bin kein Erpresser, ich bin nur ein Mensch, der mancherlei Erfahrungen gemacht hat, - unter andern die, daß alles auf der Welt seinen Preis hat und daß einer, der sein Geld verschenkt, wenn er in der Lage ist, einen Gegenwert dafür zu bekommen, ein ausgemachter Narr ist. Und - was ich mir diesmal kaufen will, Else, so viel es auch ist, Sie werden nicht ärmer dadurch, daß Sie es verkaufen. Und daß es ein Geheimnis bleiben würde zwischen Ihnen und mir, das schwöre ich Ihnen, Else, bei - bei all den Reizen, durch deren Enthüllung Sie mich beglücken würden. Und ich schwöre Ihnen auch, daß ich - von der Situation keinen Gebrauch machen werde, der in unserem Vertrag nicht vorgesehen war. Nichts anderes verlange ich von Ihnen, als eine Viertelstunde dastehen dürfen in Andacht vor Ihrer Schönheit. Mein Zimmer liegt im gleichen Stockwerk wie das Ihre, Else, Nummer fünfundsechzig, leicht zu merken. Der schwedische Tennisspieler, von dem Sie heut' sprachen, war doch gerade fünfundsechzig Jahre alt? Aber wenn es Ihnen aus irgendeinem Grunde nicht paßt, mich auf Zimmer Nummer fünfundsechzig zu besuchen, Else, so schlage ich Ihnen einen kleinen Spaziergang nach dem Diner vor. Es gibt eine Lichtung im Walde, ich habe sie neulich ganz zufällig entdeckt, kaum fünf Minuten weit von unserem Hotel. - Es wird eine wundervolle Sommernacht heute, beinahe warm, und das Sternenlicht wird Sie herrlich kleiden. Sie sollen mir nicht gleich antworten, Else. Überlegen Sie. Nach dem Diner werden Sie mir gütigst Ihre Entscheidung kundtun. Überlegen Sie in aller Ruhe. Sie werden vielleicht spüren, daß es nicht einfach ein Handel ist, den ich Ihnen vorschlage. Sie werden möglicherweise ahnen, daß ein Mann zu Ihnen spricht, der ziemlich einsam und nicht besonders glücklich ist und der vielleicht einige Nachsicht verdient. Also auf Wiedersehen, Else.«