Franz
Kafka
Mein
Geschäft ruht ganz auf meinen Schultern. Zwei Fräulein mit Schreibmaschinen
und Geschäftsbüchern im Vorzimmer, mein Zimmer mit Schreibtisch, Kasse,
Beratungstisch, Klubsessel und Telephon, das ist mein ganzer Arbeitsapparat.
So einfach zu überblicken, so leicht zu führen. Ich
bin ganz jung und die Geschäfte rollen vor mir her. Ich klage nicht, ich
klage nicht.
Seit Neujahr hat ein junger Mann die kleine, leerstehende Nebenwohnung, die
ich ungeschickterweise so lange zu mieten gezögert habe, frischweg gemietet.
Auch ein Zimmer mit Vorzimmer, außerdem aber noch eine Küche.
- Zimmer und Vorzimmer hätte ich wohl brauchen können - meine zwei
Fräulein fühlten sich schon manchmal überlastet -, aber wozu
hätte mir die Küche gedient? Dieses kleinliche Bedenken war daran
schuld, daß ich mir die Wohnung habe nehmen lassen. Nun sitzt dort dieser
junge Mann. Harras heißt er. Was er dort eigentlich macht, weiß
ich nicht.
Auf der Tür steht: 'Harras, Bureau'. Ich habe Erkundigungen eingezogen,
man hat mir mitgeteilt, es sei ein Geschäft ähnlich dem meinigen.
Vor Kreditgewährung könne man nicht geradezu warnen, denn es handle
sich doch um einen jungen, aufstrebenden Mann, dessen Sache vielleicht Zukunft
habe, doch könne man zu Kredit nicht geradezu raten, denn gegenwärtig
sei allem Anschein nach kein Vermögen vorhanden. Die übliche Auskunft,
die man gibt, wenn man nichts weiß.
Manchmal treffe ich Harras auf der Treppe, er muß es immer außerordentlich
eilig haben, er huscht förmlich an mir vorbei. Genau gesehen habe ich ihn
noch gar nicht, den Büroschlüssel hat er schon vorbereitet in der
Hand. Im Augenblick hat er die Tür geöffnet. Wie der Schwanz einer
Ratte ist er hineingeglitten und ich stehe wieder vor der Tafel 'Harras, Bureau',
die ich schon viel öfter gelesen habe, als sie es verdient.
Die elend dünnen Wände, die den ehrlich tätigen Mann verraten,
den Unehrlichen aber decken. Mein Telephon ist an der Zimmerwand angebracht,
die mich von meinem Nachbar trennt. Doch hebe ich das bloß als besonders
ironische Tatsache hervor. Selbst wenn es an der entgegengesetzten Wand hinge,
würde man in der Nebenwohnung alles hören. Ich habe mir abgewöhnt,
den Namen der Kunden beim Telephon zu nennen. Aber es gehört natürlich
nicht viel Schlauheit dazu, aus charakteristischen, aber unvermeidlichen Wendungen
des Gesprächs die Namen zu erraten. Manchmal umtanze ich, die Hörmuschel
am Ohr, von Unruhe gestachelt, auf den Fußspitzen den Apparat und kann
es doch nicht verhüten, daß Geheimnisse preisgegeben werden.
Natürlich werden dadurch auch meine geschäftlichen Entscheidungen
unsicher, mein Stimme zittrig. Was macht Harras, während ich telephoniere?
Wollte ich sehr übertreiben - aber das muß man oft, um sich Klarheit
zur verschaffen -, so könnte ich sagen: Harras braucht kein Telephon, er
benutzt meines, er hat sein Kanapee an die Wand gerückt und horcht. Ich
dagegen muß zum Telephon laufen, die Wünsche des Kunden entgegennehmen,
schwerwiegende Entschlüsse fassen, großangelegte Überredungen
ausführen - vor allem aber während des Ganzen unwillkürlich durch
die Zimmerwand Harras Bericht erstatten.
Vielleicht wartet er gar nicht das Ende des Gesprächs ab, sondern erhebt
sich nach der Gesprächsstelle, die ihn über den Fall genügend
aufgeklärt hat, huscht nach seiner Gewohnheit durch die Stadt und, ehe
ich die Hörmuschel aufgehängt habe, ist er vielleicht schon daran,
mir entgegenzuarbeiten.
Der
Nachbar