Zurück zur Hauptseite der Abteilung





Gebaute Zeichen
Eine Theorie der Symbolisierungsweisen von Bauwerken


In meinem Vortrag entwickle ich eine Theorie der Symbolisierungsweisen von Bauwerken. Vorbereitend argumentiere ich dafür, dass Bauwerke als Symbole funktionieren können, auch wenn sie sich von paradigmatischen Symbolen unterscheiden. Dies verlangt jedoch nicht nur einen hinreichend weiten Symbolbegriff, sondern auch zusätzliche Symbolisierungsweisen neben der Denotation und Darstellung. Nelson Goodmans Symboltheorie, die zwischen Denotation, Exemplifikation, Ausdruck und Anspielung unterscheidet, erweist sich deshalb als geeignet für mein Vorhaben.

Denotation
Denotation ist die Bezugnahme eines Symbols auf diejenigen Dinge, auf die es zutrifft; sie umfasst Benennen, Beschreiben und Darstellen. Die meisten Bauwerke denotieren nicht, aber es gibt interessante Ausnahmen. Die Denotation kann fiktional, mehrdeutig oder metaphorisch sein. 
  • Bauwerke, die als fiktionale Darstellungen funktionieren, geben vor, etwas zu denotieren, das nicht existiert, z.B. einen Drachen. Bei ihnen geht es nicht darum, was sie denotieren (nämlich nichts), sondern darum, wie sie als Symbole zu charakterisieren sind.
  • Ein Bauwerk ist denotational mehrdeutig, wenn es mehrere denotationale Interpretationen zulässt, z.B. zugleich als Schiff- und als Enten-Darstellung interpretiert werden kann.
  • Wenn ein mehrdeutiges Bauwerk als Metapher funktioniert, hängt seine metaphorische Interpretation von seiner buchstäblichen ab, z.B. die Interpretation eines wagenförmigen Tempels als Sonnen-Darstellung von seiner Interpretation als Wagen-Darstellung.
Anders als bei typischen darstellenden Skulpturen haben bei Bauwerken, die denotieren, nur wenige Teile Darstellungsfunktionen, werden nur wenige Aspekte des Sujets dargestellt, sind die Darstellungen wenig realistisch und ist es schwierig zu erkennen, was dargestellt wird.

Exemplifikation
Exemplifikation ist die Bezugnahme eines Symbols auf eine seiner Eigenschaften. Ein Stoffmuster exemplifiziert seine Farbe und sein Material, nicht aber seine Größe. Bauwerke können z.B. ihren Gebäudetyp, ihre Konstruktionsweise und Aspekte ihrer Form exemplifizieren. Die Exemplifikation kann multipel, fiktional (pace Goodman), mehrdeutig oder metaphorisch sein.
  • Bauwerke exemplifizieren meist viele Eigenschaften; einzelne Exemplifikationen können andere stützen, zu ihnen in Spannung stehen oder mit ihnen im Gleichgewicht sein.
  • Bei der fiktionalen Exemplifikation gibt ein Bauwerk vor, eine Eigenschaft zu exemplifizieren, die es nicht hat, z.B. eine Betonskelettkonstruktion die Eigenschaft, ein Backsteinbau zu sein.
  • Ein Bauwerk ist exemplifikatorisch mehrdeutig, wenn es in verschiedenen Symbolsystemen oder im selben minimalen Subsystem mehrere exemplifikatorische Interpretationen zulässt; z.B. wenn soziale Gruppen unterschiedliche Symbolsysteme verwenden oder wenn eine Fassade zwischen mehreren Gliederungen schwankt.
  • Ein Bauwerk exemplifiziert metaphorisch, wenn ihm die exemplifizierte Eigenschaft nur metaphorisch zukommt, z.B. einem Warenhaus die Eigenschaft, männlich zu sein.

Ausdruck
Der Begriff der metaphorischen Exemplifikation ermöglicht eine Explikation des architektonischen Ausdrucks: Ein Bauwerk drückt eine Eigenschaft aus, wenn es sie als ästhetisches Symbol metaphorisch exemplifiziert. Bauwerke können z.B. Emotionen, Tugenden, Ideen oder Werte ausdrücken.

Anspielung
Die einfachen Symbolisierungsweisen Denotation, Exemplifikation und Ausdruck können zu Bezugsketten verbunden werden. Anspielungen sind indirekte Bezugnahmen über solche Ketten. Ich diskutiere stilistische, typologische, lokale und kulturelle Anspielungen.
  • Stilistische: Ein Bauwerk spielt auf Werke eines Individual-, Kollektiv-, Lokal- oder Zeitstils an, indem es Merkmale exemplifiziert, die typisch sind für Bauwerke dieses Stils.
  • Typologische: Ein Bauwerk spielt auf Werke eines funktionalen, formalen oder konstruktiven Typs an, indem es Merkmale exemplifiziert, die typisch sind für Bauwerke dieses Typs.
  • Lokale: Ein Bauwerk spielt auf Aspekte seiner Umgebung an, indem es Merkmale exemplifiziert, die typisch sind für diese Umgebung.
  • Kulturelle: Ein Bauwerk spielt auf Aspekte seines kulturellen Kontextes an, indem es Merkmale exemplifiziert, die typisch sind für diesen Kontext.

Schluss
Abschließend argumentiere ich, dass die skizzierte Symboltheorie dem Standardeinwand gegen Theorien entgeht, die die Architektur als Sprache verstehen, und ein viel reicheres Instrumentarium zur Interpretation von Bauwerken liefert als alternative Architektursemiotiken.





Jan Bovelet
Architektur als Sprache – semiotische Komponentenanalyse der Architektur à la Charles Jencks


Theoretische und praktische Semiotik

Charles Jencks gilt als einer der Hauptvertreter der Architekturtheorie der Post-Moderne. Sein Buch The Language of Post-Modern Architecture von 1977 kann quasi als eines der theoretischen Gründungsdokumente der Post-Moderne gelten. In diesem Buch grenzt er die postmoderne Architektur kultur- und architekturgeschichtlich von der architektonischen Moderne ab, indem er den Begriff der Post-Moderne aus der Literaturwissenschaft in den Bereich der Architektur überträgt.

Die Grundlage für Jencks‘ Ansatz ist die Semiotik. Sie ist für ihn die Grundlagenwissenschaft schlechthin. Der Gegenstand der Semiotik ist die Analyse von Zeichen und Zeichenprozessen aller Art. Der Leitgedanke dabei ist, dass in allem, was wir tun, Zeichenprozesse involviert sind. Wollen wir also verstehen, womit wir es jeweils zu tun haben, wenn wir uns mit etwas auseinandersetzen, müssen wir die Zeichenprozesse verstehen, kraft derer wir mit diesem etwas umgehen. Und das gilt dann selbstverständlich auch für die Architektur, für die Jencks eine „archisemiotics“[Charles Jencks, „The Architectural Sign“, in Signs, Symbols, and Architecture, hg. von Geoffrey Broadbent, Richard Bunt, und Charles Jencks (New York/London: Wiley, 1980), 74] vorschlägt.

Um die semiotischen Grundlagen und Methoden, auf die Jencks seine Thesen aufbaut, vorzuführen, werde ich zwei Aspekte seines Ansatzes ausklammern. Zum ersten werden die kultur- und architekturgeschichtlichen Gesichtspunkte des Jencks‘schen Ansatzes in diesem Beitrag nicht explizit thematisiert. Und zum zweiten wird der Aspekt ausgeklammert, dass die Semiotik kein einheitliches Gebilde ist. Es gab und gibt in der Entwicklung der Semiotik viele verschiedene Ansätze, Methoden, Modelle und Theorien. Es gibt z.B. die unterschiedlichen Linien von Semiologie und Semiotik, sprachzentrierte und allgemeine Ansätze, dyadische und triadische Zeichenmodelle. Wo Jencks hier geschichtlich und systematisch einzuordnen ist – auch das soll in diesem Beitrag fürs erste nicht interessieren.

Stattdessen soll in diesem Beitrag Jencks‘ semiotische Technik an einigen Beispielen, die er in The Language of Post-Modern Architecture gibt, vorgeführt und nachvollzogen werden. Die Beispiele selbst sollen der Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit der Idee und dem Wert der semiotischen Perspektive auf die Architektur sein, die Jencks vorgeschlagen hat. 

Jencks‘ semiotischer Ansatz

Nach Jencks ist die Sprache das paradigmatische Zeichensystem schlechthin: „language dominates all sign systems“ [Ebd.]. Deshalb kann er Architektur in direkter Analogie zur Sprache auffassen und so semiotisch rekonzeptualisieren, nur das Architektur statt auf Wörtern auf „visual codes“ [Charles Jencks, The Language of Post-Modern Architecture, 4. Aufl. (New York: Rizzoli, 1984), 40] basiert. Wie es verschiedene Sprachen gibt, die von verschiedenen Gruppen von Menschen zu verschiedenen historischen Zeiten gesprochen und benutzt werden, so werden auch zu verschiedenen Zeiten verschiedene architektonische Codes von verschiedenen Gruppen von Menschen benutzt. Diese Gruppen nennt Jencks „semiotic groups“: „usually a complex mixture of ethnic background, age, history and locale.“[Ebd., 209] Jede dieser semiotischen Gruppen ‚spricht‘ also ihre jeweils eigene ‚architektonische Sprache‘ – das ist Jencks‘ leitende Analogie.

Für Jencks sind alle diese verschiedenen architektonischen Sprachen prinzipiell vollständig transparent: „[w]e can make a componetial analysis of architectural elements and find out which are, for any culture, distinct units.“[Ebd., 52] Die Aufgabe der semiotischen Komponentenanalyse besteht also darin, die basalen Ausdrücke einer architektonischen Sprache zu finden, und sie den Inhalten zuzuordnen, die sie bezeichnen. Die Idee, die hinter dieser Sprachauffassung steckt, ist die folgende: Sprache lässt sich grundsätzlich als Beziehung verstehen zwischen etwas, was bezeichnet – das Signifikans –, und etwas, das bezeichnet wird – das Signifikat. So wie ein Wort für eine bestimmte Bedeutung steht, so muss, nach Jencks, ein bestimmtes architektonisches Element – ein architektonischer Ausdruck – auch für eine bestimmte architektonische Bedeutung stehen: „architecture must have a signifying reference“[Ebd., 112].

Ausgehend von dieser Konzeption soll sich nach Jencks die Architekturtheorie der archisemiotics bedienen, um architektonische Korpora für verschiedene semiotischen Gruppen aufzustellen. Diese Korpora kann man sich vorstellen wie große Lexika, in denen für die verschiedenen semiotischen Gruppen aufgelistet ist, welcher architektonische Ausdruck für welche architektonische Bedeutung steht. Hat man diese Lexika erst einmal in Händen, lässt sich – so Jencks‘ Idee – auch die Doppel- und Mehrfachcodierung der Architektur in den pluralen Gemengelagen der Post-Moderne entziffern.

Architekturtheorie und Architekturpraxis

Von den Fragen, die sich an die Vorführung der Beispiele, die Jencks für die Anwendung seiner semiotischen Komponentenanalyse der Architektur gibt, anschließen könnten, möchte ich besonders zwei hervorheben: Erstens, ob und wie man die semiotische Komponentenanalyse mit dem architektonischen Entwerfen und Machen verbinden kann. Welche Rolle kann sie beim Entwerfen von etwas Neuem spielen, wenn ein „architectural sign can only be completely analysed a posteriori, in a context“[Jencks, „The Architectural Sign“, 102]? Und zweitens, ob und wie weit die Analogie zwischen Architektur und Sprache überhaupt trägt. Wieso sollten wir davon ausgehen, dass sich in der Architektur genauso zwischen Ausdruck und Bedeutung unterscheiden lässt, wie in der Sprache? (Und diese Frage gewinnt natürlich noch an Schärfe, da es viele sprachphilosophische und linguistische Argumente dafür gibt, dass es auch in der Sprache nicht möglich ist, kategorisch zwischen Ausdruck und Gebrauch zu unterscheiden.)





Claus Dreyer
Architektonische Zeichen und ihre Bedeutungen


Die Analyse und Interpretation von Zeichen, -komplexen und –prozessen in Kommunikationszusammenhängen aller Art ist Gegenstand der semiotischen Forschung, und in der semiotischen Beschäftigung mit der Architektur nimmt die Analyse und Interpretation von architektonischen Elementen, Situationen und Objekten eine demgemäß zentrale Rolle ein. Auch wenn die Theorie der Interpretation dabei oft stärker im Vordergrund steht als die Praxis der Interpretation, lassen sich doch einige beispielhafte Anwendungen finden, aus denen typische Vorgehensweisen einer semiotisch orientierten Interpretation abgeleitet werden können. Generell kann man sagen, dass aus semiotischer Sicht der Architektur eine Zeichenkonzeption zugrunde gelegt wird, über der die jeweiligen Interpretationen entwickelt werden können, z.B. die folgende „triadische“ Konzeption, die auf verbreiteten Ansätzen aufbaut:  

                                  1. Form 
                                     (Material, Konstruktion, Gestalt)          

    2. Funktion                                        3. Bedeutung           
       (physiologisch, psychisch, geistig)          (emotional, praktisch, ideell)

Die Arbeit der Analyse und Interpretation besteht bei diesem Modell darin, die Beziehungen zwischen Formen, Funktionen und Bedeutungen der architektonischen Zeichen zu ermitteln und sie, wenn möglich, in einer Synthese zu vereinigen; dabei kommt der Ausdifferenzierung der einzelnen Aspekte des jeweiligen Zeichenbezugs eine wichtige Rolle zu. Während in der klassischen modernen Architektur der Weg zur Bedeutung notwendig von der Funktion ausgehend über die Form führen sollte, hat sich in der spät- und nachmodernen Architektur dieser Bezug gelockert und die Form soweit verselbständigt, dass sie Bedeutungen unabhängig von der Funktion oder manchmal sogar gegen sie kommunizieren kann; das ist ganz besonders bei Gebäuden mit offenen oder künstlerischen Funktionen der Fall, findet sich aber auch zunehmend bei Zweckgebäuden aller Art. 

Für den semiotischen Interpretationsansatz kommen vor allem drei Gesichtspunkte in Betracht:

  • Alle architektonischen Elemente, von der Großform bis zum kleinsten Detail, können als Zeichen gedeutet werden, vorausgesetzt, dass sie an einem physischen Träger intersubjektiv identifizierbar sind und dass ein kulturelles „Diskursfeld“ existiert, an dem die Deutung anschließen kann. Dieses „Diskursfeld“ wird in der Architektur ganz wesentlich durch die Bau- und Kunstgeschichte, aber auch durch den jeweiligen kultur- und gesellschaftstheoretischen Rahmen der Diskurse abgesteckt, und die Grenzen der Kompetenz auf diesen Gebieten sind auch die Grenzen der Interpretation.

  • Ein weiteres zentrales Thema der Architektursemiotik ist die Bestimmung und Deutung von „Codes“, die in der spezifischen Gestaltung eines Objekts gefunden werden können. Ein „Code“ ist nach Eco ein System oder Teilsystem von Zeichen, das einen geregelten Zusammenhang von Zeichen, Bedeutungen und Interpretationen besitzt und auf sozialen Konventionen oder Normierungen beruht. In der Architektur lassen sich ikonologische, typologische, stilistische, regionalistische, individualistische u.a. Codes unterscheiden; eine besondere Rolle spielt nach Jencks der Unterschied zwischen elitären und populären Codierungen. Die Bestimmung von „Codes“ stellt das jeweilige Objekt vor einen Bedeutungshorizont, der Zusammenhänge mit größeren kulturellen Gegenständen und Prozessen erhellt. In der spät- und postmodernen Architektur sind es die speziellen Mischungen und Überlagerungen von verschiedenen Codes, die zu komplexen und mehrschichtigen Bedeutungen führen.

  • Auch das alte Thema einer „Symbolik der Architektur“ wird von der Semiotik fortgeführt und in einen stringenteren Zusammenhang gebracht: Symbole sind demnach Zeichen, die eine besonders tief verankerte Bedeutung in sozialen, kulturellen und historischen Prozessen haben, und die dazu dienen, wichtige ideelle Inhalte in konzentrierter Form auszudrücken. In seiner „Logik der Baukunst“ hat Christian Norberg-Schulz die „kulturelle Symbolisierung“ zu einer der Hauptaufgaben der Baukunst erklärt, die darin bestehen soll, dass zwischen einer Bauaufgabe, den darin enthaltenen ideellen Gehalten und jeweils angemessenen kulturell tradierten Formen eine Synthese hergestellt wird, die auf einer „strukturellen Ähnlichkeit“ zwischen den beteiligten Polen beruht. Das Ergebnis sollen architektonische „kulturelle Symbole“ sein, die zusammen mit anderen hoch bewerteten kulturellen Gegenständen das „Symbolmilieu“ (oder in unserer Terminologie das „Diskursfeld“) einer Gesellschaft bilden, in dem sich die Mitglieder über wesentliche Werte und Sinngehalte miteinander verständigen und vereinigen. Die Identifikation von solchen kulturellen Symbolen stellt eine der vornehmsten Aufgaben der Architektursemiotik dar.

Diese Ansätze sollen im Beitrag dargestellt und erläutert, sowie an einigen Beispielen demonstriert werden. 





Kurt W. Forster
„Above the trash…”


Design fordert Aufmerksamkeit und vermittelt Botschaften über Objekte. Als Sprache der Dinge widersetzt sich Design der Sprache als solcher. Der „linguistic turn“, wenn es ihn jemals gegeben hat, spielt im Vergleich zu seiner objektiven Reichweite und seiner subjektiven Macht eine eher untergeordnete Rolle.

Ein Beispiel dafür, wie Werbedesign Sprache über das Ziel hinausschießt und Sprache untergräbt, ist das folgende: Vor kurzem hat die BBC den amerikanischen TV-Markt erobert und wirbt für ihre Programme. Um ihre Seriosität und ihren Qualitätsanspruch herauszustellen, lautet einer der für die Kampagne verwendeten Slogans „(We’re) above the trash – also im Sinne von „(Wir bewegen uns)… jenseits des Abfalls oder (wir sind) über allen Schmutz erhaben…“. Entlang der von Pendlern stark frequentierten Bahnstrecke zwischen New York City und New Haven wurden die Abfalleimer auf den Bahnsteigen mit speziellen Schildern versehen, auf denen der Slogan „(We’re) above the trash…”zu lesen ist. Die Bedeutung dieser Phrase erschließt sich von selbst und auch die aufgestellten Abfalleimer bergen nicht unbedingt Geheimnisse – nimmt man allerdings diesen Satz wortwörtlich, so wird hier beides erfasst, es gibt Abfall und nun gibt es etwas jenseits davon. Hier handelt es sich um ein Produkt des Designs und nicht einfach um eine Behauptung oder eine Tatsache.

Ein weiteres Beispiel für den Wandel der Dinge und, was noch bedeutsamer ist, von Aktion durch Design, sind Apple-Produkte; sie sprechen eine Zielgruppe auf der ganzen Welt an: iPod, iPhone und iPad sind Paradigmen des zeitgenössischen Designs, weil sie mit ihren Funktionen haptische Erlebnisse bieten: Icons, Ziffern, Buchstaben und Symbole werden durch Berührung aktiviert, als ob die Sphäre der Zeichen auf die Erde zurückgekehrt und wie Schneeflocken auf der Haut geschmolzen wäre. Oberfläche steht für die operative Stufe jeder Transaktion. Da sich jede Aktion in einer virtuellen Tiefe verliert, erschafft Design eines der Mysterien der Fantasie neu, die Meerjungfrau: mit der oberen Hälfte als menschliche Gestalt, endet ihr Körper in einer Schwanzflosse. Wie sie ist Design gleichzeitig Verzauberung, Verwirrung, Ausbruch und unter Umständen auch Zerstörung. Einfach alles am iPhone macht süchtig und kündet von zwei Welten, von tiefem Abgrund und luftiger Höhe, von hart und weich, geschmeidig und undurchdringlich. Sein Sound ist wie der Gesang der Meerjungfrau, er bringt das Unerreichbare in greifbare Nähe, raubt Zeit und bewahrt die Erinnerung an Flüchtiges. Alles, was sich materialisiert, und tut es das mit noch so winziger Verzögerung , bleibt vollkommen immateriell. Seine Eigenschaften des „Fließenden“, „Gleitenden“, „Schrumpfenden“ und „sich Ausdehnenden“ bezeichnen einen zutiefst immateriellen Zustand, der nur auf Oberflächen erfasst werden kann.
  
Die Architektur nimmt nun erneut eine allumfassende Rolle ein, wie sie es bereits in der Renaissance getan hat, als sie die „Urmutter“ aller (visuellen) Künste war. Unzweifelhaft materiell, notwendigerweise in jedem Bestandteil geformt und in jedem Detail definiert, umfasst Architektur den “situativen Sinn“ ihrer Komponenten ebenso wie ihre materielle Tiefe. Heutzutage ist Architektur möglicherweise die einzige Methode, die in der Lage ist, Materie und Bedeutung jenseits ihrer jeweiligen Domänen zu vereinen. Nach einer sehr langen Phase der Entfremdung von ihrer Quelle stehen der Architektur vielleicht noch mehr Wandlungen bevor, als sie bereits vollzogen hat.





Andreas Hapkemeyer
Bauten als Zeichen. Architektur der 30er Jahre in Bozen


Bozen ist eine der Städte, in denen das offizielle Italien Mussolinis in den 30er und 40er Jahren systematisch baute. Aus einer Kleinstadt mit rund 25.000 Bewohnern wurde durch Ansiedlung großer Industrien in wenigen Jahren eine Stadt mit 100.000 Bewohnern. Diese Umwandlung eines altösterreichischen Provinzstädtchens in eine italienische Grenzstadt mit Symbolcharakter lässt sich an der Architektur beobachten.

Nachdem lange Jahre die Architektur jener Jahre von Seiten der deutschen Bevölkerung Südtirols als Zeichen der Unterdrückung lesen worden war, kam mit den 80er Jahren eine Aufwertung der formalen Qualitäten der Bauten jener Jahre (s. Oswald Zoeggeler, Architektur für ein italienisches Bozen). Abgesehen von einigen Bauten – wie etwa dem pathetischen Siegesdenkmal in Bozen – herrschen am Bauhaus-Rationalismus entwickelte Formen vor. Diese Architektur hat – bei aller urbanistischen Brutalität, mit der die Umsetzung erfolgt ist – beachtliche Qualitäten. Etwa städtebaulicher Natur: dem mittelalterlichen Stadtkern mit seinem zentralen Laubengang wird jenseits der Talfer ein neuer, monumentaler und bewusst moderner Laubenzug in der Freiheitsstraße  gegenübergestellt. Große Ensembles werden geschaffen, etwa am Siegesplatz, der heute noch an metaphysische Bilder von Giorgio Morandi denken lässt. Oder am Gerichtsplatz, der auf der nach Süden weisenden Achse Italienstraße und Romstraße liegt.

Diese Architektur ist Ausdruck einer Gesellschaft, deren Eliten sich auf der Höhe des Fortschritts sehen und in noch glorreichere Zeiten zu gehen gedenken. Sie ist aber auch Ausdruck dafür, dass auf diesem Weg der Einzelne nur eine begrenzte Bedeutung hat. Sind die Lauben in der Stadt auf Menschenmaß bezogen, so gehen die Grieser Lauben der 30er Jahre bewusst darüber hinaus. Der Einzelne erscheint unter diesen Lauben, die übrigens auch nicht rund, sondern rechtwinklig sind, als kleine Figur. Groß sind die Zeiten. Auch im Detail sind die Bauten beachtlich: ihre Eingangstüren, ihre Stiegenhäuser mit den Marmortreppen und geschwungenen Handläufen, die aus gediegenem Holz hergestellten und mit Stein gerahmten Wohnungstüren, die Gliederung der großzügigen Wohneinheiten - in allem manifestiert sich Stil, der umso sichtbarer wird, wenn man ihn mit der fast durchgängig gesichtslosen Architektur der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg vergleicht.

Die italienische Architektur der 30er (und 40er Jahre) zeichnet sich – nicht nur in Bozen – durch die systematische Integration von Skulpturen aus, die oft den heroischen Gestus aufnimmt, der sich in der Architektur als Monumentalität äußert. Wie im Bauhaus geht es um ein Zusammenführen der Künste unter der Vorherrschaft der Architektur. Wie zum Beispiel auf dem Siegesplatz wird die Skulptur immer wieder ergänzt durch in Stein gemeißelte ideologische Aussagen, durch welche die Architektur mit impliziten Inhalten gefüllt wird. Soweit zum Symptom Architektur, zum dem Design wie Kunst gehören.

Eine spezielle Geschichte erzählt der Gerichtsplatz, auf dem sich Gericht und ein damals als Parteigebäude konzipierter Bau gegenüber stehen. Diesen Bau, der heute von der staatlichen Finanzadministration verwendet wird, ziert ein riesiges Fries, das damals eines der größten in Europa, wenn nicht das größte gewesen ist. Es zeigt in zwei übereinander liegenden Streifen die Geschichte der faschistischen Partei. In der Mitte Mussolini hoch zu Pferd, daneben sein berühmter Spruch: Credere, obbedire, combattere. Erzählt werden also die wichtigsten Schritte auf dem Weg zur Macht und die dann im Besitz der Macht vollbrachten Taten (u.a. den Abessinienkrieg). Bemerkenswert ist, dass mit Hans Piffrader ausgerechnet ein Südtiroler Künstler deutscher Muttersprache ausgewählt worden war, eine Politik zu heroisieren, die in Südtirol frontal mit der deutschsprachigen Mehrheit kollidierte. Piffraders Vorbild ist die Trajans-Säule in Rom. Er ist allerdings bei weitem nicht der einzige Künstler, der den Diktator Mussolini zum Sujet von Werken wählt. Ein Kuriosum ist, dass das Werk erst 1957 – also rund anderthalb Jahrzehnte nach Mussolinis Sturz - fertiggestellt werden konnte: anlässlich eines hohen Besuchs aus Rom wollte man nicht mit einer unfertigen Fassade aufwarten und forderte den Künstler auf, die fehlenden, in einem Lager zwischengelagerten Platten einzusetzen. Das Werk sagt einiges über das Verhältnis von Kunst und Macht aus. Und: Das Werk ist – wie auf andere Weise das Siegesdenkmal – bis heute Gegenstand von Diskussionen und Protesten geblieben. Insofern kann man hier von einem durchaus aktuellen Symptom sprechen, das etwas über den Gesundheitszustand der Südtiroler Gesellschaft aussagt.

Vor ca. zwei Jahren schien ein politisch günstiger Moment gekommen zu sein; die Südtiroler Landesregierung erhielt vom damaligen Kulturminister die lange Zeit als unmöglich eingeschätzte Genehmigung, das leidliche Fries zu verdecken. Man wolle damit der Verherrlichung des Faschismus entgegenwirken, war die offizielle Erklärung. Ein Teil der Medien (und der Bevölkerung) revoltiert: man wolle hier eigentlich die italienische Geschichte Südtirols ausblenden. Als die Verwaltung einen Wettbewerb ausschreibt, um künstlerisch das Fries zu verdecken, beteiligen sich zahlreiche Südtiroler Künstler mit Vorschlägen. Durch ihre Beteiligung erklären sie indirekt, dass sie der Meinung sind, ein Fries, das den Faschismus feiert, müsse verdeckt werden. Es soll also – anders als eine Gruppe von Historikern fordert - nicht sichtbar bleiben und nicht durch kommunikative Maßnahmen historisiert werden, was natürlich sowohl für die italienischsprachige als auch für die deutschsprachige Bevölkerung Südtirols nicht nur angenehm wäre. Weiters zeigen die Künstler durch ihre Beteiligung am Wettbewerb, dass sie sich nicht scheuen, das Werk eines anderen Künstlers durch ihren Eingriff zu überlagern. Soviel zum Symptom Kunst.





Tatsuma Padoan
Hinter den Zeichen. Strategien der Designkommunikation für Verhaltensvorschriften und deren Vermittlung in Tokyos U-Bahnen

„Bitte unterlassen Sie das Auftragen von Make-up im Zug.“
Manner Poster, August 2009


Diese Arbeit will die Funktionsweise und Wirksamkeit von Formen des graphischen Designs im urbanen Alltag untersuchen, indem die Strategien für Verhaltensvorschriften und deren Vermittlung erforscht werden, die in einer bestimmten Reihe von U-Bahn-Postern Anwendung finden. Im September 1974 verteilte die Tokyoer U-Bahn-Gesellschaft eine Serie von Plakaten, die auf humorvolle Weise dazu einladen sollten, „gutes Benehmen“ in den Stationen und Zügen der japanischen Hauptstadt an den Tag zu legen. Diese Werbeträger wurden Manner Poster genannt. Seit damals wurde diese Aktion jeden Monat mit anderen Botschaften und Bildern wiederholt; das Format wurde hingegen jeweils über ein ganzes Jahr beibehalten.

Die drei Ausgaben von 2008 bis 2010 sind aufgrund ihrer Ironie und ihrer visuellen Wirkungskraft besonders bemerkenswert. Diese Plakate, die vom Graphikdesigner Yorifuji Bunpei entworfen wurden, zeigen – im Comic-Stil und hauptsächlich in weiß, schwarz und gelb – Situationen in U-Bahnhöfen und Zügen, auf denen eine oder mehrere Personen unter den verblüfften Blicken der anderen Fahrgäste Dinge tun, die als „unhöflich“ gelten. Die Bilder stellen eine breite Auswahl an solchen Situationen dar: Älteren Menschen und schwangeren Frauen vorbehaltene Sitzplätze werden regelwidrig beansprucht, während sich die Türen schon schließen drängen Leute noch in den Zug, Abfall wird einfach auf den Boden geworfen und Eingänge werden mit Koffern und Rucksäcken versperrt. Die Bandbreite an „schlechtem Benehmen“ wird ziemlich erweitert; tatsächlich zählen dazu auch Essen im Zug, das Auftragen von Make-up, Telefonieren, andere Fahrgäste mit dem Schirm nassmachen, in betrunkenem Zustand in Ohnmacht fallen und Gymnastikübungen an Bord ausführen. Die Bilder zeigen eigentlich paradoxe Szenen, visuelle Hyperbeln, die als ungezogen geltende Handlungen übertreiben und deren negative Auswirkungen auf die anderen Fahrgäste betonen. Die „Unhöflichen“ unterscheiden sich in ihrer optischen Erscheinung deutlich von den Anderen: Ihre Unangemessenheit wird durch andere Farben, Positionierungen und Merkmale hervorgehoben. Die Opfer werden selbst zu aktiven Handlungsträgern, indem sie die Täter mit Blicken strafen, die aus großen, hervorquellenden Augen schießen. Sie verkörpern ein Wertesystem, das akzeptiert werden muss, um die Ordnung zwischenmenschlicher Beziehungen zu bewahren. Die Botschaften, die über den Bildern prangen, lassen keinen Zweifel über die Zielgruppe der Plakate zu: „Bitte tun Sie das zu Hause“, steht über dem Ramen-Fresser mit seiner Nudelsuppe; „Bitte tun Sie es im Büro“ lautet die Aufforderung an den Geschäftsmann, der sich Notizen macht, während er ein Telefongespräch im Zug führt. Manner Poster sind vor allem Gebote und erst in zweiter Linie Verbote: Sie sagen dem Fahrgast, was er tun soll, um ihm klar zu machen, was er nicht tun darf. Die verbale Komponente der Plakate (wie eben „Tun Sie es zu Hause“) ist, laut dem Autor selbst, geprägt vom „unterdrückten Frust des typischen Pendlers“, der von unhöflichem Verhalten emotional getroffen wird. Die Poster tragen gewissermaßen zur Konstruktion der Identität der U-Bahn-Passagiere bei: Jeder ist dem Blick und Urteil der anderen Pendler ausgesetzt; angemessene Situationen und Orte für bestimmte Tätigkeiten werden vorgeschrieben. Die Plakate werden so zu „Regulatoren des gesellschaftlichen Lebens“, die alltägliche Handlungen je nach ihrer zeitlichen und räumlichen Bestimmung positiv oder negativ bewerten.

Eine Analyse dieser „U-Bahn-Etikette“ und ihrer Entwicklung über die drei Ausgaben lässt eine individuelle sprachliche und visuelle Differenzierung von Identität erkennen, welche auf sehr unterschiedliche Verhaltens- und Gesellschaftsmodelle hindeuten, je nachdem, ob japanische oder ausländische Fahrgäste angesprochen werden sollen. Daher werde ich versuchen darzulegen, wie die Interaktion zwischen gezeichneten und realen Akteuren einerseits versucht, verschiedene Formen politischer Artikulation zu definieren (Latour 1999), und wie parodistische Umdeutungen der Manner Posters – die sofort auf japanischen Internetseiten und in Zeitschriften verbreitet wurden – andererseits auch Möglichkeiten zur Diskussion über die vorgeschriebenen Werte und sozialen Bindungen bieten.





Roland Posner
Semiotische Grundlagen des Designs


Design ist die Gestaltung von Gegenständen mit dem Ziel, dass sie mit Hilfe ihrer wahrnehmbaren Eigenschaften Informationen über sich selbst mitteilen. Man unterscheidet dabei den Gestaltungsprozess (d.h. die Arbeit der Designer, die Designaktivität) vom Gestaltungsergebnis (d.h. dem Designobjekt mit seinen wahrnehmbaren Eigenschaften) und vom Mitteilungsvorgang (d.h. dem Designerlebnis).

Wenig umstritten ist unter Designtheoretikern, dass Designobjekte Informationen über sich selbst mitteilen. Diskutiert wird aber heftig, von welcher Art diese Informationen sein können und wie sie erzeugt werden.

Die weitestgehende Behauptung ist in diesem Zusammenhang, dass ein Designobjekt ein sprechendes Ding ist, dass es seine Mitteilungen in einer Art Dingsprache kommuniziert, und dass der Mitteilungsinhalt sich aus dem Spektrum der möglichen Verwendungsweisen des Designobjekts ergibt. Dieser Behauptung liegen die folgenden semiotischen Modelle zugrunde, die im vorliegenden Beitrag charakterisiert und einer Prüfung unterworfen werden.

1. Das Kode-Modell, das Designobjekte wie Wörter behandelt und ihre Informationen als Wortbedeutungen auffasst: Angenommen wird dabei die Existenz einer Dingsprache, welche die Dinge in Gegenstandstypen einteilt und jedem Gegenstandstyp auf konventionelle Weise eine Kategorie zuordnet, die ihn kennzeichnet.

In jedem Angehörigen einer Kultur, der auf einen Gegenstand des betreffenden Typs stößt, wird die betreffende Kategorie aufgerufen. Das gilt für Naturdinge (z.B. 'Felsen', 'Bäume', 'Pferde') ebenso wie für Artefakte (z.B. 'Häuser', 'Schuhe', 'Schreibmaschinen').

Der Vorteil eines solchen Modells, das meist auf den Linguisten Saussure (1914) zurückgeführt wird, liegt in der Annahme eines Systems von kulturspezifischen Konventionen, die die Einteilung in Gegenstandstypen vornehmen (vgl. Posner 1988 und 1992). Der Nachteil besteht in der starren Kategorisierung sowie in der Unfähigkeit, dem Mitteilungscharakter des Designobjekts gerecht zu werden.

2. Das Kommunikations-Modell, das Designobjekte als kommunikative Äußerungen behandelt, die Informationen ihrer Hersteller an die Nutzer mitteilen: Angenommen wird dabei ein Hersteller, der eine Herstellungsintention hat und will, dass die Nutzer diese Intention verstehen.

Jede Person, die auf das betreffende Designobjekt stößt, sieht sich hier in einen Dialog verwickelt, der von ihr verlangt, dass sie aus seinen wahrnehmbaren Eigenschaften die Herstellungsintention erschließt und das Designobjekt in der betreffenden Weise benutzt. Das gilt allerdings (heute) nicht (mehr) für Naturdinge, die keinen Hersteller haben, sondern nur für Artefakte wie Häuser, Schuhe und Schreibmaschinen.

 Der Vorteil dieses Modells, das oft auf analytische Philosophen wie Grice (1957) zurückgeführt wird, liegt in der Genauigkeit, mit der jedes einzelne Detail des Designobjekts verstanden und auf die Gesamtintention bezogen werden kann. Der Nachteil besteht in der Dialogfiktion, die zufällige Eigenschaften der Hersteller und ihrer Biographie zu Teilen des Verstehensprozesses für die Mitteilungen des Designobjekts macht. 

3. Das Funktions-Modell, das Designobjekte als Instrumente behandelt und als Mittel zur Verwirklichung eines Zieles auffasst, ohne einen zwecksetzenden Hersteller einzubeziehen: Angenommen wird dabei nur die Existenz von potenziellen Nutzern, die bestimmte Handlungsziele verfolgen und prüfen, was die Verwendung des Designobjekts zur Verwirklichung ihrer Ziele beitragen kann und wie es dabei eingesetzt werden muss. 

Jeder potenzielle Nutzer ist in der Wahl seiner Ziele frei; er kann sich dabei an den Zwecksetzungen anderer orientieren, kann bestehenden Traditionen folgen oder eigene passende Zwecksetzungen erfinden. Er kann aber auch bekannte Funktionen des Designobjekts umgehen  und entsprechend seinen momentanen Bedürfnissen zum Beispiel im Äußeren einer Wäscheklammer deren Einsetzbarkeit zum Verschließen einer Lebensmitteltüte sehen (bzw. in einer Stuhllehne einen Kleiderbügel, in einem Bierdeckel ein Mittel zur Stabilisierung eines wackelnden Tisches oder in einer Plastiktüte einen Nässeschutz für eine feuchte Sitzfläche erkennen; siehe Bürdek 2005: 270).  

Derartige Informationen betreffen das Spektrum möglicher Verwendungsangebote des jeweiligen Designobjekts in gegebenen Situationen und machen nicht vor Umfunktionierungen dieser Objekte Halt. Die entsprechenden Mitteilungen werden potenziellen Nutzern in einem Raisonnement zugänglich, das situationsbezogene Problemlösungen (d.h.“affordances“ im Sinne von Gibson 1979) ermittelt. Diese Mitteilungen sind weniger unflexibel, als das Kode-Modell es erlaubt, und weniger personenabhängig, als das Kommunikations-Modell es verlangt; sie werden der Aufgabe von Designobjekten, Informationen über sich selbst mitzuteilen, auf angemessene Weise gerecht. Der Mitteilungsinhalt beschränkt sich hier allerdings auf die Verwendbarkeit des Designobjekts. Und darin liegt auch die Hauptbeschränkung des Funktions-Modells. Traditionelle Symbolbedeutungen sind im Funktions-Modell nicht explizierbar, es sei denn man gebraucht den Funktionsbegriff in sehr weitem Sinne. 

Im Anschluss an die Prüfung der semiotischen Modelle bietet es sich an, die Umstände der Mitteilungen von Designobjekten mit den Umständen normaler sprachlicher Mitteilungen zu vergleichen. Wie sich ergibt, gilt: (i) Designobjekte reden nicht; denn sie benötigen keine Sprache. (ii) Designobjekte kommunizieren nicht; denn sie erfordern kein Verstehen von Mitteilungsintentionen. Und positiv gewendet: (iii) Designobjekte legen nur bestimmte Schlussfolgerungen über sich selbst nahe; sie verlangen nicht mehr als die Deutung von Signalen und Anzeichen.




Gert Selle
DING, HALB-DING, NICHT-DING, IN-DING, ÜBER-DING
Über sichtbares und unsichtbares Design


Es ist unvermeidlich, unter Design nicht nur die zeichenhaft wirksame Gestalt von Produkten, sondern auch die unsichtbare Formierung von Erfahrungsprofilen ihrer Nutzer zu verstehen. Es gibt sowohl sichtbares und unsichtbares Design am Objekt als auch sichtbares und unsichtbares Design am Gebraucher. Das ist die Ausgangsthese.

Sie schafft einen Rahmen für Überlegungen, mit deren Hilfe man sich in designphilosophisches Denken einüben und Distanz zum Tun im Alltag gewinnen kann. Es geht um Beziehungen zwischen Design-Objekt und Gebraucher-Subjekt. Niemand sollte sich von der Zumutung, designphilosophisch zu denken, abschrecken lassen, es praktisch zu versuchen und sich in die Rolle eines Beobachters zu versetzen, der sich selbst und andere in designbestimmten Handlungsfeldern des Alltags wahrnimmt und fragt: Was ist hier Design? Welche sichtbaren und unsichtbaren Eigenschaften vereint es auf sich? Was macht es mit seinen Nutzern? Welche Erfahrungen vermittelt es?

Gewiss würde ein Fundamentalontologe wie Heidegger mit dem Instrument seiner elaborierten philosophischen Logik zunächst fragen, was überhaupt ein Ding (oder Design-Objekt) ist, oder was die „Dingheit des Dinges“ be-dingt. Wir hingegen können uns auf eigene Anschauung und Erfahrung berufen. Vorgeschlagen wird eine für Laien praktikable Methode der Annäherung an Design im Alltag: Was will dieses Design und was bewirkt es?

Als handhabungserfahrene und denkende Gebraucher können wir fragen: Welche Formen der Be-Dingung erlebt man heute an sich selbst? Welche Erfahrungen werden im Wechsel zwischen dem Greifbaren und dem Virtuellen gemacht? Was bedeutet es, durch Technik und Design kulturell situiert zu werden?

Die moderne Technik hat oder ist ein so starkes Eigen-Design, dass der Philosoph Günther Anders schon Mitte des 20. Jahrhunderts befürchtete, dass „Technik als Subjekt der Geschichte“ ihre Gebraucher entmündigen könnte. Das war eine Vermutung, auf die man heute nachdenklich reagieren muss.

Aus der Praxis des Umgangs mit Dingen, Halb-Dingen, Nicht-Dingen, In-Dingen und Über-Dingen stellen sich Fragen nach unserer Positionierung in aktuellen produktkulturellen Verhaltens- und Erfahrungsräumen. Der Vortrag thematisiert diese Räume und möchte zu einer phänomenologisch unterlegten Übungs-Praxis animieren. Anregungen dazu ergeben sich aus den Teilen 2 - 6 des Referats.

Inhaltliche Gliederung:
  • Kulturelle Situierung
  • Gesten
  • Rituale
  • Bilder, Ikonen, Idole
  • Das im Fetisch rehabilitierte Ding
  • Der beteiligte Beobachter
  • (optional): Vom geheimen Leben der Dinge

 


Uwe Wirth
Zwischen Symptom und Signal: 
Derridas Spurbegriff mit Peirce gelesen 


In meinem Vortrag soll es darum gehen, eine pragmatisch-semiotische Lesart des Spurbegriffs zu entwickeln, und zwar ausgehend von einer Bemerkung, die Derrida in seiner Grammatologie macht. Dort heißt es: "[...] die Spur, von der wir sprechen ist so wenig natürlich (sie ist nicht das Merkmal, das natürliche Zeichen oder das Indiz im Husserlschen Sinne) wie kulturell, so wenig physisch wie psychisch, so wenig biologisch wie geistig" [Jacques Derrida, Grammatologie (1967), Frankfurt am Main 1983, S.83].  

Solch ein Spurbegriff ist, wie ich zeigen möchte, im Rekurs auf die Peircesche Semiotik nur schwer zu denken. In der Peirceschen Zeichentheorie, die zwischen Symbol, Index und Icon unterscheidet, steht das Symbol in funktionaler Analogie zum Saussureschen signe. Das Symbol ist Peirce zufolge ein 'allgemeines Zeichen', das von einer Konvention (convention), einer Gewohnheit (habit) oder einer natürlichen Regularität (a natural disposition) abhängt (CP 8.335).[Charles Sanders Peirce, Collected Papers of  Peirce, Bd. I-VI, hg. v. Charles Harsthorne und Paul Weiss, Bd. VII und VIII, hg. v. Arthur W. Burks, Cambridge, Mass. 1931-1958. Zitiert wird in Dezimalnotation im Text.] Als Beispiele für symbolische Zeichen nennt Peirce ein Wort, ein Satz, ein Buch oder ein Argument (CP 5.73). 

Im Gegensatz zum Symbol stellt der Index eine Verbindung zwischen zwei individuellen Ereignissen her. Der Index "marks the junction between two portions of experience" (CP 2.285) und eröffnet dadurch einen Wirklichkeitsbezug. Zum Beispiel das Krankheitsymptom. Das Indexzeichen hat in irgendeiner Form "a real connection with its object" (CP 5.75). An anderer Stelle wird diese 'Verbindung' als referentielle ausgezeichnet: Indices "refer to individuals" und richten dabei die Aufmerksamkeit auf den Referenten aus: "they direct the attention to their objects" (CP 2.306). Zum Beispiel der deutende Zeigefinger.  Im Unterschied zum Index muss das Objekt, auf das sich ein Icon bezieht, nicht tatsächlich vorhanden sein. Ein Icon kann ein Abbild oder ein Diagramm sein, es kann mit seinem Gegenstand aber auch nur über eine Ähnlichkeit verbunden sein. 

Vor dem Hintergrund dieser drei Zeichenaspekte werde ich eine weitere Differenzierung des Index-Zeichens vornehmen, nämlich die zwischen genuinen und degenerierten Index-Zeichen: Genuine Indices sind Teil einer motivierten, "existential relation" (CP 2.283), die durch Kausalität oder "natürliche Kontiguität" bestimmt ist (CP 2.306). In eben dieser Weise sind Symptome kausal motiviert (CP 8.335): Von Symptomen wird angenommen, dass sie eine unwillkürliche, motivierte Verbindung zu dem haben, worauf sie verweisen.  Die epistemische Pointe eines genuinen Indexes besteht in der doppelten Unterstellung, dass er Bestandteil einer kausal motivierten, aber nicht-intentionalen Relation ist. Diese existentielle Relation zu einem Objekt ist die Voraussetzung dafür, dass man das Symptom als "natürliches Anzeichen" deutet. Im Gegensatz zum genuinen Index ist der degenerierte Index nicht kausal motiviert. Ein degenerierter Index ist ein referentieller Zeiger: "a proper name without signification, a pointing finger" (CP 5.75), ein nicht-propositionaler Hinweis also, der nichts anderes sagt als "Dort" (CP 3.361).

Vor dem Hintergrund dieser Differenzierungen werde ich in meinem Vortrag zwei für Derridas Spur- und Schriftbegriff zentrale Gedanken diskutieren. Erstens spricht Derrida in der Grammatologie vom "Spiel der Schrift", das er als "Unmotiviert-Werden der Spur" fasst. [Derrida, Grammatologie, S.87] 
Zweitens macht Derrida in seinem Aufsatz "Signatur Ereignis Kontext" noch eine andere Dynamik aus, die seiner Meinung nach zur "Struktur des Geschriebenen selbst" gehört: die Iterabilität im Sinne der Wiederholbarkeit von Zeichen. Die Iterabilität des Zeichens wird daran sichtbar, dass jedes Zeichen "zitiert - in Anführungszeichen gesetzt - werden" kann [Jacques Derrida, „Signatur Ereignis Kontext“, in: Limited Inc, Wien 2001, S. 15-45, S.32]. So behauptet Derrida: 

"Aufgrund seiner wesensmäßigen Iterabilität kann man ein schriftliches Syntagma immer aus der Verkettung, in der es gefasst oder gegeben ist, herausnehmen, ohne dass es dabei alle Möglichkeiten des Funktionierens und genau genommen alle Möglichkeiten der 'Kommunikation' verliert. Man kann ihm eventuell andere zuerkennen, indem man es in andere Ketten einschreibt oder es ihnen aufpfropft. [Ebd.]

Die Frage, die sich insbesondere mit Blick auf diese zweite Passage stellt, lautet: Welche Zusammenhang besteht zwischen 'Zitathaftigkeit' und Indexikalität? 
Was für Index-Zeichen sind Anführungszeichen – und welche Form der Indexikalität finden wir in 'Schreibspuren'? Handelt es sich bei Anführungszeichen um Signale, also um degenerierte Indices – und sind Schreibspuren eine besondere Form von Symptomen, sprich genuine Indices?




TagungsbüroManuela Degasperi
Raum SER F 5.02
Universitätsplatz 139100 BozenItalien
T: +39 0471 015003F: +39 0471 015009manuela.degasperi2@unibz.it
Fakultät für Design und Künste - Sekretariat
Universitätsplatz 139100 BozenItalien
T: +39 0471 015000F: +39 0471 015009design-art@unibz.it
Öffnungszeiten:Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag: 09:00 - 12:00
Mittwoch: 10:00 - 12:00
© UniBz