Exposé für die Konferenz Digital. Material. Structural. Ornament Today, die am 31. Mai und 1. Juni 2010 an der Fakultät für Design und Künste der Freien Universität Bozen stattfinden wird.
Digital. Material. Structural. Ornament TodayBunt, verspielt und aufreizend sinnlich kehrt heute in Design, Kunst und Architektur zurück, was die Moderne zu Beginn des Maschinenzeitalters noch abzuschaffen versuchte: das Ornament. An der Wende vom Maschinen- zum Kommunikationszeitalter ist die Ornamentdebatte neu entflammt. Die Rede ist vom neuen Ornament. Dieses zeigt sich auf unterschiedlichste Weise als ephemere Erscheinungen auf den Bildschirme und Medienfassaden, aber auch im raffinierten Spiel von Materialität und Raum in Jun Aokis Projekten für Louis Vuitton (Roppongi 2003) oder im strukturalen Konzept von Toyo Itos Serpentine Gallery Pavillon (London 2002), nicht weniger auch im organisch-verschlungenen Möbeldesign von Zaha Hadid (Venedig 2008), in der Kunst bei Tobias Rehberger oder in rhetorischer Wende bei Christian Kathriner.
Wir haben es mit den unterschiedlichsten Erscheinungsformen der neuen Ornamente zu tun, aber eines steht fest: Die neuen Ornamente lassen sich nicht mehr auf Oberflächen- und Wahrnehmungsphänomene beschränken. Mit dem computational design, mass customization und scripting Software lösen sich die Ornamente vom Papier, von den Wänden und elektronischen Bildschirmen, sie drängen ins Material und in die Struktur der Dinge. Exemplarisch zeigt sich das in Achim Menges Experimenten mit integralen Materialsystemen. Hier lösen sich gleichsam die Grenzen zwischen Objekt und Oberfläche, Ergon und Paregon auf. Interessanterweise geht das computational design gar nicht von Fragen des Ornaments aus, sondern von den strukturalen Prinzipien der digitalen Verfahren und des Materials, obgleich wiederum die architektonischen Resultate viel mit ornamentalen Strukturen zu tun haben. Deswegen spricht Menges nicht von Ornamenten, sondern von performativen Mustern, die gleichwohl ornamentaler Art sind. Unter dem Einfluss der digitalen Verfahren treten Material, Struktur und Ornament in eine neue Wechselbeziehung.
Gerade hier möchte die Konferenz Digital. Material. Structural. Ornament Today ansetzen und die Frage nach dem Struktur- und Statuswandel des Ornaments im digitalen Zeitalter aufwerfen. Einerseits zeigen sich die Ornamente heute als von der Oberfläche sich lösende, im Raum wuchernde Strukturen, das heißt als Resultat der „steuernden Programme und Codierungen“(Brett Steele) der Computer. So dass wir uns fragen müssen, ob in der je spezifischen Gestalt der Ornamente nicht etwa die abstrakte Logik des digitalen Habitats zur Sichtbarkeit kommt. Andererseits heißt das nicht, dass die Kreativität des Designers völlig ausgeschaltet würde. Wie in den künstlerischen Verfahren der VJ’s und selbst in Arata Isozakis digital errechneten Raumstrukturen, wie beim Bahnhofprojekt von Florenz, Evidenz gewinnt, bleibt das Design von einer gestalterischen Absicht geführt. Es ist keineswegs so, dass die Hand des Gestalters ausgedient hätte. Im Gegenteil, vermittelt durch die neuen digitalen Technologien sind es die neuen ornamentalen Verfahren und ihre Strukturen, über die der Mensch in eine neue Beziehung zur Umwelt und zu sich selbst tritt.
Die Frage nach dem neuen Ornament besitzt also, so die erste These, neben der technologischen auch eine anthropologische Seite, und das nicht nur nebenbei! So dass sich dringender denn je die Frage stellt: Was ist das Neue am neuen Ornament? Was ändert sich dabei im Verhältnis zwischen Mensch und Lebenswelt? Wie wirkt es auf die menschliche Befindlichkeit und unser Verhältnis zu den Dingen? Sollen wir angesichts der Prozesshaftigkeit nicht doch besser gleich von ornamentalen Verfahren sprechen? Wie unterscheidet sich das neue Ornament vom Maschinenornament und klassischen Ornament und wo wiederum bestehen Affinitäten und Kontinuitäten? Ist schon jeder Moiréeffekt, jedes computergenerierte Muster und jede pixelartige Struktur auf einer Medienfassade schon ein neues Ornament?
Gerade die historische Sicht kann verdeutlichen, so die zweite These, dass immer dann, wenn die Frage nach dem Ornament aufbricht, dies Zeichen eines grundlegenden Wandels in der Kultur ist. Das gilt für die Ornamentdebatten der frühen Moderne ebenso wie für deren Rückkehr in den 60er Jahren in den ornamentalen Figuren der frühen Computergraphik (Nake, Noll) und im strukturalen Ornament des Strukturalismus (Can-dilis, A. van Eyck). Das gilt nicht weniger für die abstrakten Ornamente der Konkreten Kunst, von Pop-Art und Op-Art wie auch für die allegorisch-metaphorischen Ornamente der Postmoderne (A. Mendini, E. Sottsass, M. Thun, Arata Isozaki). Am Ornament schärft die Moderne ihr theoretisches Konzept. Am Ornament scheiden sich die Geister, aber weniger – wie gemeinhin gilt – im Sinne von Geschmacksfragen, als dass sich an ihm die zentralen gestalterischen Fragen und Problemfelder einer Zeit auskristallisieren.
Am Ornament findet, so die dritte These, die Rekonzeptualisierung der Kultur im je veränderten kulturellen Kräftefeld statt. Dieses gilt es zu untersuchen. Das neue Ornament scheint in diesem Sinne einen End- und Wendepunkt zu bezeichnen, das „Ende des albertianischen Paradigmas“. Nach Alberti bestand die Stärke der Renaissance wesentlich in der Trennung des intellektuellen Entwurfsprozesses von der unmittelbaren Ausführung durch den Handwerker. Aber wie Mario Carpo zeigt, heben gerade die digitalen Werkzeuge die Trennung, die über 500 Jahre Gültigkeit hatte, zwischen dem „intellectual act of design“ und dem „material act of building“ tendenziell wieder auf. Zu beobachten ist eine neue „interaktive Verknüpfung“ zwischen den kognitiven Prozessen des Designs – dem Denken der Dinge – und den materiellen Prozessen – dem Gemachtwerden der Dinge. Das neue Ornament scheint die treibende Kraft hinter der „interaktiven Verknüpfung“ der kognitiven und materiellen Verfahren des Designs wie auch deren Resultat zu sein.
Die Konferenz Digital. Material. Structural. Ornament Today lädt internationale Theoretiker, Kulturwissenschaftler und Philosophen sowie Gestalter auf den Gebieten des Designs, der Architektur, der Kunst und der Mode nach Bozen ein, um aus der Perspektive der Praxis, der Theorie, Ästhetik und Medienpsychologie die Frage nach dem neuen Ornament zu stellen. Die Referenten werden aus USA, Japan und Europa kommen. Die Konferenzsprachen sind Englisch, Deutsch und Italienisch. Alle Beiträge werden simultan in die jeweils anderen Sprachen gedolmetscht. Die Konferenz findet am 31. Mai und 1. Juni 2010 in Bozen statt und wird organisiert von Prof. Dr.-Ing. habil. Jörg H. Gleiter, Fachgebiet Ästhetik an der Fakultät für Design und Künste der Freien Universität Bozen.
Bozen, 15. November 2009
Jörg H. Gleiter