Schwester Michaela
»Schwester Michaela« (Original von Margareth Obexer) ist die tragische Geschichte einer Frau, die ihr Leben im Kloster verbringt. Der Sohn ihres Bruders berichtet aus seiner Perspektive von den Besuchen der Familie im Kloster, während denen er Jahr für Jahr Verwandlungen
an Schwester Michaela beobachtet.
»Nach dem Besuch beschimpfte meine Mutter regelmäßig meinen Vater für das Leben das seine Schwester und die übrigen Nonnen in diesem Kloster führten. Er hielt dagegen dass sie auf diese Weise ständig für uns beten konnten. «
Seine Eltern hatten verschiedene Auffassungen bezüglich Schwester Michaela und ihr Leben im Kloster. Während die Mutter Entsetzen empfand über das Leiden und Eingesperrtsein, war der Vater froh und dankbar darüber, dass die Nonnen die Aufgabe der Büßer übernahmen.
Auf welchem Standpunkt steht nun der Leser?
Die Umsetzung als Hypertext schafft eine erweiterte Dimension des Lesens. Der Leser kann aus drei verschiedenen Perspektiven das Leben von Schwester Michaela betrachten: Wenn er sich über die negativen und positiven Begriffe durch die Kurzgeschichte navigiert, so erfährt er die originale Erzählform der Geschichte, eine quasi neutrale Sicht des Geschehens aus dem Blickwinkel des Sohnes. Entscheidet er sich für die positiven Begriffe, die als Links zu den Seiten mit den guten oder neutralen Inhalten der Geschichte dienen, nimmt er sozusagen die Rolle des Vaters ein. Hält sich der Leser an die negativen Begriffe, so sieht er ausschließlich das schlechte und grausame im Leben von Schwester Michaela und wird am ehesten der Mutter zustimmen, die gegen ein solches Leiden spricht.
Der Leser wird jedoch nicht alleine gelassen mit seiner Entscheidung. Am Ende jedes Navigationsweges bietet ihm ein letzter Link die Möglichkeit, die Erzählung linear zu lesen. Er wird dazu angehalten, sich mit allen Aspekten auseinanderzusetzen, den positiven und den negativen, um sich schließlich eine eigene Meinung zu bilden. Diese Meinung wird möglicherweise dadurch beeinflusst, dass der Leser sich zum Schluss im negativen Strang befindet. Hier ist eine Stellungnahme des Hypertext-Autors zu erkennen.
Die Erzählung über die Besuche im Kloster sind so klischeehaft in Gut und Böse aufgeteilt, dass deutlich wird, dass so eine schwarz-weiß Sicht der Dinge eigentlich nicht möglich ist. Diese extreme Umsetzung stellt die Arbeit in ein absurdes Licht und unterstreicht dessen kritischen Aspekt über das eindimensionales Denken. Möglicherweise fällt dem Leser durch das Beobachten der Scrollbalken nun auf, dass sich beim Klicken von einem Text zum nächsten nicht immer wieder ein neues Dokument öffnet: Er befindet sich immer auf derselben HTML-Seite, in der er nur von Textblock zu Textblock springt. Der „gute“ Strang der Geschichte ist oben, horizontal angeordnet und bildet somit den „Himmel“ als Element der Freiheit, des Guten. Die Ansicht des Vaters ist hier symbolisiert. Er rechtfertigt das Leiden damit, dass die Nonnen auf direktem Weg in den Himmel kommen. Die negative Seite, die tragische Verwandlung von Schwester Michaela, ist vertikal platziert, und führt schließlich in die „Hölle“.
Das Gute existiert nicht ohne das Böse. Dadurch, dass beide Elemente schließlich eine Einheit bilden, weil sie auf einer Seiten gemeinsam stehen, wird der Tunnelblick des Vaters kritisiert und symbolisch aufgelöst.
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