Kingston Hill war sein nächstes Ziel. Nach einigen
Mühen und gut gelaunter Hartnäckigkeit erhielt er ein Interview
mit Amelia,
der Köchin und Haushälterin des kürzlich verstorbenen Anthony
Gascoigne. Anfangs war sie voll Misstrauen und
sehr reserviert, aber der Charme und die Herzlichkeit dieses merkwürdigen
Ausländers hätten auch einen Stein erweicht. Mrs. Amelia wurde
immer aufgeschlossener.
Wie schon so viele Frauen vor ihr schüttete sie ihr Herz einem wirklich
teilnahmsvollen Zuhörer aus. Vierzehn Jahre lang hatte sie für
Mr. Gascoigne den Haushalt geführt. – Es war keine leichte Sache
gewesen. O nein, wirklich nicht! So manche Frau wäre unter der Bürde,
die sie zu tragen hatte, zusammengebrochen. Der alte Herr war exzentrisch.
Er verheimlichte es auch nicht. Dazu war er bemerkenswert geizig, es war
bei ihm eine Art Sucht. Dabei war er doch so reich. Trotzdem hatte Mrs.
Amelia ihm treu gedient, hatte all seine Grillen ertragen und hatte natürlich
auch zumindest eine Geste des Dankes erwartet.
Aber nein, nichts dergleichen. Es existiert nur ein altes Testament, in
dem er all sein Geld seiner Frau oder, falls sie ihn nicht überlebte,
seinem Bruder Henry
vermachte. Schon vor Jahren hatte er das Testament aufgesetzt. Und es erschien
ihr sehr ungerecht!
Allmählich gelang es Hercule
Poirot, sie von ihrem Hauptthema, ihrer unbefriedigten
Gier, abzubringen. Es war tatsächlich herzlos und ungerecht, ja, ja,
da hatte sie ganz Recht! Man konnte Mrs. Amelia nicht verdenken, dass sie
verletzt und empört war. Mr. Gascoigne war für seinen Geiz sehr
bekannt gewesen. Man erzählte sich sogar, dass er selbst seinem einzigen
Bruder nicht einmal geholfen hätte. Wahrscheinlich wusste Mrs. Amelia
darüber Bescheid.
„Dann war das also der Grund, weshalb
Dr.
Lorrimer ihn besuchte?“,
fragte Mrs. Amelia. „Ich wusste, dass
es irgendetwas mit seinem Bruder zu tun hatte, aber ich dachte, er wollte
sich nur aussöhnen. Sie hatten sich vor Jahren zerstritten.“
„Ich habe erfahren“, sagte Poirot,
„dass Mr. Gascoigne sich entschieden weigerte?“
„Das ist völlig richtig“, stimmte
ihm Mrs. Amelia zu. „<Henry>“,
sagte er ziemlich schwach, „<was soll
ich mit Henry? Ich habe ihn seit Jahren nicht mehr gesehen, und ich will
ihn auch in Zukunft nicht sehen. Henry ist zänkisch.> Das war alles,
was er dazu gesagt hat.“
Die Unterhaltung wandte sich dann wieder Mrs.
Amelias eigenen Kümmernissen zu. Man sprach auch vom Rechtsanwalt des
kürzlich verstorbenen Mr. Gascoigne, der ebenfalls für sie kein
Verständnis zeigte.
Mit einiger Mühe gelang es schließlich Hercule Poirot, sich zu
verabschieden, ohne die Unterhaltung zu abrupt abzubrechen.
Der Versuch
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